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Segeln auf dem Ozean der Zeit - Anna Boghiguian im Rupertinum Salzburg + im New Museum, New York

Anna Boghiguian folgt in ihren Installationen Handelsrouten und den Gütern welche die Welt bewegen; in Salzburg ist es das Salz, in New York ist es die Baumwolle. Erstaunlich ist, wie sehr Handelsgüter die Arbeitsverhältnisse und die Gesellschaftsverhältnisse prägen, und das bis auf den heutigen Tag. Anna Boghiguian beschäftigt sich mit der Historie, und da sie neben Kunst auch Politikwissenschaften studiert hat, folgt sie mit scharfem Auge den Entwicklungen die im Rückblick zu bewerten sind. Ausbeutung, Krieg, Revolution säumen den Weg der Güter, darüber die Wolken der Träume und Begehrlichkeiten. Die Tochter eines armenischen Uhrmachers ist in Ägypten aufgewachsen, hat in Kairo und Montreal an amerikanischen Eliteuniversitäten studiert und ist viel unterwegs, wie die Zugvögel, die sie gerne darstellt. Auf ihren Reisen produziert sie Künstlerbücher.

Die Künstlerin liebt nicht nur Vögel sondern auch Segel, sie erwirbt alte Segel und nützt sie als Leinwand. Im Rupertinum hängt so ein riesiges Segel im Stiegenhaus als temporäre Installation, aber auch in New York im New Museum ist ein riesiges Segel Teil einer Installation. Menschenkarawanen, die wie Kulissen aufgestellt sind, oft mit ergänzenden Objekten und Textpassagen im Ambiente welches ihr anvertraut wurde, sind ihre Besonderheit. Sie ist eine meisterhafte Ausstellungsmacherin, denn die Zusammenschau der Dinge funktioniert wie ein Theaterstück. Ihre Vorgehensweise ist literarisch und räumlich.

Sie komponiert politische Szenarien, darin auch Porträts von Machthabern und Revolutionären, schreibt stückweise Geschichte und Geschichten; die Vögel picken auf was übrig bleibt, stehen aber vielleicht für die Reise selbst, als Möglichkeitsraum.

Kapitän(in) Anna auf hoher See (oben Salzburg, unten New York) begleitet von einem Vogelschwarm! (Friedenstauben?)

 

BLACK MIRROR - Galerie Mario Mauroner Salzburg - 40 internationale Künstler (Aires, Horn, Kienzer...)

Der schwarze Spiegel ist das Thema welches 2 Ausstellungen an den 2 Ausstellungsorten Mauroner´s in Salzburg zusammen hält, ein international gehandeltes Luxusgut, wie die Kunst. BLACK MIRROR funktioniert in einem sehr zeitgenössischen Sinne als Sicht auf die aktuelle Lage unserer Informationsgesellschaft im digitalen Zeitalter, welche mehr zu verbergen scheint, als preiszugeben bereit ist. So kann es sich um einen echten schwarzen Spiegel handeln, der erst beim nahe treten seine gesellschaftspolitische Brisanz zeigt wie bei Carlos Aires, oder um den Schatten, den spiegelnde Schmetterlingsflügel werfen, die noch dazu von einem mit mechanischem Antrieb versehenen Objekt stammen, das nach nicht durchschaubarem Programm die graziöse Leichtigkeit eines Falters nachahmt, wie bei Rebecca Horn.

Kendell Geers "Cadvre Exquis (Nike of Samothrace)" ist wohl den Wünschen und Hoffnungen geschuldet, welche all die frühen Internet-Freaks hatten, das Versprechen von Freiheit und weltweiter Kommunikation, das man hinter 0 und 1 geglaubt hat zu finden, ein geköpfter Traum, der immer noch die Schwingen breitet, nur die Welt des Internets ist anders geworden und alles was man hinter sich lassen wollte ist gefolgt. Bei Second Life war es genau so, das Tool ist längst aus der Mode, vergessene Avatare geistern wohl noch in Second Life herum. Was diese Präsentation so wertvoll macht, ist die Absenz von politischer Strategie, ein wohltuendes "über dem Mainstream-Diskurs" stehen, mehr Poesie und Differenziertheit, eben das, was man von Kunst immer noch erwarten darf, und dankbar entgegen nimmt.

 

MANIFESTA - Die Europaeische Wanderbiennale zwischen Utopie und Wirklichkeit

Die Presse-Präsentation zur Eröffnung der MANIFESTA wurde kurzfristig vom Museum in die Kirche verlagert, das hatte durchaus einen Reiz und vor allem hatte man mehr Platz. Wunderschöne Kirchen gibt es in Palermo unendlich viele (für jeden Sizilianer eine, wie mir eine kecke Galerie-Mitarbeiterin versicherte, als ich gestand, mir neben der Manifesta doch auch ein paar Kirchen und Paläste gegönnt zu haben, und die lokale Galerieszene)

Der wunderbare Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, der berühmte Mafia-Jäger, sah seinen Traum erfüllt, er wollte die Manifesta, die Europabiennale in seiner Stadt, und gleichzeitig ist 2018 Palermo noch Kulturhauptstadt von Italien. Kultur statt Mafia ist sein griffiges Statement, im Teatro Garibaldi, welches reanimiert wurde als Hauptsitz der Manifesta.

Mit vielen anderen Statements kann man nicht so einverstanden sein. Im Public Programme in Opernhaus, fand die große Europa-Diskussion zwischen 3 (relativ alten) Männern statt, zwei davon Afrikaner, die in New York situiert und etabliert sind, der 3. ist Leoluca Orlando, ein reicher Sizilianer. Die Mischung, welche sich zu "Borderless" und Europa äußert, ist jedenfalls nicht repräsentativ. "borders as outdated, geopolitical and intellectual constructions" treffen auf die flockige Aussage des Bürgermeisters, der uns alle solange wir hier sind als Palermoitaner sieht, Tourismusabgabe bezahlt man aber schon in jeder Absteige. Der Titel der Manifesta "The Planetary Garden - Cultivating Coexistenz" ist utopisch und anspruchsvoll, wird aber naiv für "Offenes Europa" undifferenziert instrumentalisiert. Der wunderschöne "Orto Botanico", ein riesiger botanischer Garten, von hohen Mauern gesäumt, grenzt sich wie ein künstlerisches Stufenprojekt zeigt, welches über den Zaun schaut, von der kontaminierten Businesswüste außerhalb ab. Die bezaubernde Vielfalt ist natürlich nicht durch Samenflug entstanden, und nicht nur die Pflanzen hatten kein Mitspracherecht.

Der Diskurs ist einseitig, denn "Coexistence" ist ein großes Wort und will gut überlegt sein, vor allem aber müssen die aktuellen Hintergründe besser recherchiert werden. Die sizilianische Mafia, die Orlando erfolgreich einschränken konnte, zum Wohle dieser Stadt, ist inzwischen von jener aus Kalabrien teils verdrängt, die sich nicht nur mit nigerianischen Drogenkartellen mischt, sondern auch das Flüchtlingsbusiness entdeckt hat. Die Mafia knallt nicht mehr Geschäftsinhaber nieder, die kein Schutzgeld bezahlen wollen (es gibt für Palermo einen Führer, der Lokale und Geschäfte angibt, die sich davon befreien konnten) sondern wäscht ihr Geld in unterschiedlichen Betrieben in den reichen Ländern Europas und in USA. Die Flüchtlinge, die von Orlando schon auch mal bei Ankunft begrüßt wurden, verschwinden wieder, Sizilien war´s nicht, wonach ihr Sinn stand, und es sind nach wie vor vorwiegend junge bis jüngere Männer, die letztlich ein Ungleichgewicht in ihren Heimatländern und in den Fluchtländern erzeugen. Die Vorstellung, dass man die Flüchtlinge nach Quoten umverteilen kann, dort einsetzen kann wo man sie braucht, hat sich bisher als reichlich naiv herausgestellt.

Bezüglich Kunst wäre anzumerken, dass der Künstler als Sozialarbeiter auch keine tolle Vision ist, schließlich sind viele Künstler selbst eher Sozialfälle und was ist dann überhaupt die Freiheit der Kunst? Das Thema wirkt zu sehr auf ein erwünschtes Resultat hin zugespitzt. Ein botanischer Garten ist ein Konstrukt das für das Zusammenleben der Menschen als Vorbild nicht taugt, ebenso wie ein Zoo. Auch im übertragenen Sinne ist ein Paradies ohne Grenzen, also ohne konkrete Verantwortlichkeit, auch durch Steuern und Gesetze, die große Freizügigkeit, die den Faktor Mensch ausklammert, eher eine Vernebelungswolke.

 

Viel Politisches in alten Palästen, die dadurch vielleicht vor dem Abriss bewahrt werden können.

Zur Diskussion im Opernhaus muss man durch Sicherheitswachen.

Der Orto Botanico ist wunderschön, auch die Gebäude und Glashäuser. Eingeweihte flüstern, dass es Kräfte gibt die ihn eliminieren wollen......also die Manifesta als Retterin?

Kirchen gibt es aus unterschiedlichen Zeiten und für unterschiedliche Religionen, Sizilien ist immer wieder erobert worden.

Die Bandbreite vom Abbruchquartier zu alter Pracht ist faszinierend, die Kunstprojekte sind über die Stadt verstreut.

Letztlich ist die Stadt Palermo weit eher ein Lehrstück als die Manifesta.

Das Projekt einer Gemeinschaftsarbeit von Insassen in einem Frauengefängnis in Rom ist klüger und einleuchtender als manches Kunstprojekt, und ästhetisch ansprechend.

Palermo ist eine schöne Stadt, über weite Strecken relativ gepflegt und man fühlt sich auch nicht bedroht.