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INTERNETKUNSTZEITSCHRIFT 182* August 2018*
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INTER-NETART
Segeln auf dem Ozean der Zeit - Anna Boghiguian im
Rupertinum Salzburg + im New Museum, New York
Anna Boghiguian folgt
in ihren Installationen Handelsrouten und den Gütern
welche die Welt bewegen; in Salzburg ist es das Salz, in
New York ist es die Baumwolle. Erstaunlich ist, wie sehr
Handelsgüter die Arbeitsverhältnisse und die
Gesellschaftsverhältnisse prägen, und das bis auf den
heutigen Tag. Anna Boghiguian beschäftigt sich mit der
Historie, und da sie neben Kunst auch
Politikwissenschaften studiert hat, folgt sie mit
scharfem Auge den Entwicklungen die im Rückblick zu
bewerten sind. Ausbeutung, Krieg, Revolution säumen den
Weg der Güter, darüber die Wolken der Träume und
Begehrlichkeiten. Die Tochter eines armenischen
Uhrmachers ist in Ägypten aufgewachsen, hat in Kairo und
Montreal an amerikanischen Eliteuniversitäten studiert
und ist viel unterwegs, wie die Zugvögel, die sie gerne
darstellt. Auf ihren Reisen produziert sie
Künstlerbücher.
Die Künstlerin liebt
nicht nur Vögel sondern auch Segel, sie erwirbt alte
Segel und nützt sie als Leinwand. Im Rupertinum hängt so
ein riesiges Segel im Stiegenhaus als temporäre
Installation, aber auch in New York im New Museum ist
ein riesiges Segel Teil einer Installation.
Menschenkarawanen, die wie Kulissen aufgestellt sind,
oft mit ergänzenden Objekten und Textpassagen im
Ambiente welches ihr anvertraut wurde, sind ihre
Besonderheit. Sie ist eine meisterhafte
Ausstellungsmacherin, denn die Zusammenschau der Dinge
funktioniert wie ein Theaterstück. Ihre Vorgehensweise
ist literarisch und räumlich.
Sie komponiert
politische Szenarien, darin auch Porträts von
Machthabern und Revolutionären,
schreibt stückweise Geschichte und Geschichten; die Vögel picken auf was übrig bleibt,
stehen aber vielleicht für die Reise selbst, als
Möglichkeitsraum.
Kapitän(in) Anna auf
hoher See (oben Salzburg, unten New York) begleitet von
einem Vogelschwarm! (Friedenstauben?)
BLACK MIRROR - Galerie Mario Mauroner Salzburg - 40
internationale Künstler (Aires, Horn, Kienzer...)
Der schwarze Spiegel
ist das Thema welches 2 Ausstellungen an den 2
Ausstellungsorten Mauroner´s in Salzburg zusammen hält,
ein international gehandeltes Luxusgut, wie die Kunst.
BLACK MIRROR funktioniert in einem sehr
zeitgenössischen Sinne als Sicht auf
die aktuelle Lage unserer Informationsgesellschaft im
digitalen Zeitalter, welche mehr zu verbergen scheint,
als preiszugeben bereit ist. So kann es sich um einen
echten schwarzen Spiegel handeln, der erst beim nahe
treten seine gesellschaftspolitische Brisanz zeigt wie
bei Carlos Aires, oder um den Schatten, den spiegelnde
Schmetterlingsflügel werfen, die noch dazu von einem
mit mechanischem Antrieb versehenen Objekt stammen, das nach nicht durchschaubarem
Programm die graziöse Leichtigkeit eines Falters
nachahmt, wie bei Rebecca Horn.
Kendell Geers "Cadvre
Exquis (Nike of Samothrace)" ist wohl den Wünschen und
Hoffnungen geschuldet, welche all die frühen
Internet-Freaks hatten, das Versprechen von Freiheit und
weltweiter Kommunikation, das man hinter 0 und
1 geglaubt hat zu finden, ein geköpfter Traum, der immer
noch die Schwingen breitet, nur die Welt des Internets
ist anders geworden und alles was man hinter sich lassen
wollte ist gefolgt. Bei Second Life war es
genau so, das Tool ist längst aus der Mode, vergessene Avatare geistern wohl noch in
Second Life herum. Was diese
Präsentation so wertvoll macht, ist die Absenz von
politischer Strategie, ein wohltuendes "über dem Mainstream-Diskurs" stehen,
mehr Poesie und Differenziertheit, eben das, was man von Kunst
immer noch erwarten darf, und dankbar entgegen nimmt.
MANIFESTA - Die Europaeische Wanderbiennale zwischen
Utopie und Wirklichkeit
Die
Presse-Präsentation zur Eröffnung der MANIFESTA wurde
kurzfristig vom Museum in die Kirche verlagert, das
hatte durchaus einen Reiz und vor allem hatte man mehr Platz.
Wunderschöne Kirchen gibt es in Palermo unendlich viele
(für jeden Sizilianer eine, wie mir eine kecke
Galerie-Mitarbeiterin versicherte, als ich gestand, mir
neben der Manifesta doch auch ein paar Kirchen und
Paläste gegönnt zu haben, und die lokale Galerieszene)
Der wunderbare
Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, der berühmte
Mafia-Jäger, sah seinen Traum erfüllt, er wollte die
Manifesta, die Europabiennale in seiner Stadt, und
gleichzeitig ist 2018 Palermo noch Kulturhauptstadt von
Italien. Kultur statt Mafia ist sein griffiges
Statement, im Teatro Garibaldi, welches reanimiert wurde
als Hauptsitz der Manifesta.
Mit vielen anderen
Statements kann man nicht so einverstanden sein. Im Public
Programme in Opernhaus, fand die große Europa-Diskussion
zwischen 3 (relativ alten) Männern statt, zwei davon
Afrikaner, die in New York situiert und etabliert sind,
der 3. ist Leoluca Orlando, ein reicher Sizilianer. Die
Mischung, welche sich zu "Borderless" und Europa äußert,
ist jedenfalls nicht repräsentativ. "borders as outdated,
geopolitical and intellectual constructions" treffen auf
die flockige Aussage des Bürgermeisters, der uns alle
solange wir hier sind als Palermoitaner sieht,
Tourismusabgabe bezahlt man aber schon in jeder
Absteige. Der Titel der Manifesta "The Planetary Garden
- Cultivating Coexistenz" ist utopisch und
anspruchsvoll, wird aber naiv für "Offenes
Europa" undifferenziert instrumentalisiert. Der wunderschöne "Orto
Botanico", ein riesiger botanischer Garten, von hohen
Mauern gesäumt, grenzt sich wie ein künstlerisches
Stufenprojekt zeigt, welches über den Zaun schaut, von
der kontaminierten Businesswüste außerhalb ab. Die
bezaubernde Vielfalt ist natürlich nicht durch Samenflug
entstanden, und nicht nur die Pflanzen hatten kein
Mitspracherecht.
Der Diskurs ist
einseitig, denn "Coexistence" ist ein
großes Wort und will gut überlegt sein, vor allem aber
müssen die aktuellen Hintergründe besser recherchiert
werden. Die sizilianische Mafia, die Orlando erfolgreich
einschränken konnte, zum Wohle dieser Stadt, ist
inzwischen von jener aus Kalabrien teils verdrängt, die
sich nicht nur mit nigerianischen Drogenkartellen
mischt, sondern auch das Flüchtlingsbusiness entdeckt
hat. Die Mafia knallt nicht mehr Geschäftsinhaber
nieder, die kein Schutzgeld bezahlen wollen (es gibt für
Palermo einen Führer, der Lokale und Geschäfte angibt,
die sich davon befreien konnten) sondern wäscht ihr Geld
in unterschiedlichen Betrieben in den reichen Ländern
Europas und in USA. Die Flüchtlinge, die von Orlando
schon auch mal bei Ankunft begrüßt wurden, verschwinden
wieder, Sizilien war´s nicht, wonach ihr Sinn stand, und
es sind nach wie vor vorwiegend junge bis jüngere
Männer, die letztlich ein Ungleichgewicht in ihren
Heimatländern und in den Fluchtländern erzeugen. Die
Vorstellung, dass man die Flüchtlinge nach Quoten
umverteilen kann, dort einsetzen kann wo man sie
braucht, hat sich bisher als reichlich naiv
herausgestellt.
Bezüglich Kunst wäre
anzumerken, dass der Künstler als Sozialarbeiter auch
keine tolle Vision ist, schließlich sind viele Künstler
selbst eher Sozialfälle und was ist dann überhaupt die
Freiheit der Kunst? Das Thema wirkt zu sehr auf ein
erwünschtes Resultat hin zugespitzt. Ein botanischer Garten ist ein
Konstrukt das für das Zusammenleben der Menschen als
Vorbild nicht taugt, ebenso wie ein Zoo. Auch im
übertragenen Sinne ist ein Paradies ohne Grenzen, also
ohne konkrete Verantwortlichkeit, auch durch Steuern und
Gesetze, die große Freizügigkeit, die den Faktor Mensch
ausklammert, eher eine Vernebelungswolke.
Viel Politisches in
alten Palästen, die dadurch vielleicht vor dem
Abriss bewahrt werden können.
Zur Diskussion im
Opernhaus muss man durch Sicherheitswachen.
Der Orto Botanico ist
wunderschön, auch die Gebäude und Glashäuser.
Eingeweihte flüstern, dass es Kräfte gibt die ihn
eliminieren wollen......also die Manifesta als Retterin?
Kirchen gibt es aus
unterschiedlichen Zeiten und für unterschiedliche
Religionen, Sizilien
ist immer wieder erobert worden.
Die Bandbreite vom
Abbruchquartier zu alter Pracht ist faszinierend, die
Kunstprojekte sind über die Stadt verstreut.
Letztlich ist die
Stadt Palermo weit eher ein Lehrstück als die Manifesta.
Das Projekt einer
Gemeinschaftsarbeit von Insassen in einem
Frauengefängnis in Rom ist klüger und einleuchtender als
manches Kunstprojekt, und ästhetisch
ansprechend.
Palermo ist eine
schöne Stadt, über weite Strecken relativ gepflegt
und man fühlt sich auch nicht bedroht.
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