Zum TAGEDIEB von Cosima von Bonin

Kuratorenstatement


Für ihre Installation am Wiener Graben verwendet Cosima von Bonin wie schon in früheren Arbeiten Zitate aus der Populär- und Alltagskultur und verändert deren ursprüngliche Bedeutung, indem sie mehrere Bedeutungsebenen collagenhaft miteinander verbindet.
Auf einem Hochsitz- angesiedelt zwischen Tennisschiedsrichterstuhl und Aussichtsplattform -hockt eine Figur, deren vom vielen Lügen stark verlängerte Nase uns sofort an Pinocchio denken lässt. Am Ende der Nase baumelt eine Spinne an einem Faden. Eine mit einem Bewegungsmelder versehene Maiglöckchenlampe (das gleiche Modell, das den gesamten Graben ziert), beleuchtet die Szene von hinten.
Durch den Titel der Arbeit, TAGEDIEB, schlägt Cosima von Bonin eine Lesart vor: Mitten im, dem Konsum gewidmeten Zentrum Wiens sitzt ein kleiner Taugenichts und betrachtet müßiggängerisch
das geschäftige Treiben um sich herum. Nicht nur, dass er die Tage stiehlt, in dem er nichts tut außer
zu sitzen und zu beobachten, konsumiert er nicht, ist er kein "guter Bürger" und lügt dabei auch noch - was man an seiner verlängerten Nase unschwer erkennt. Nähert man sich ihm, so erleuchtet man ihn, verleiht ihm und seiner "nutzlosen" Anwesenheit noch mehr Aufmerksamkeit.
Auch wenn über den Titel eine Interpretationsrichtung vorgeschlagen wird, so ist der Titel in erster Linie als Wegweiser zu verstehen. Bonin nutzt die von ihr verwendeten Versatzstücke und deren Materialität souverän, um eine unmittelbar wahrnehmbare ästhetische Setzung vorzunehmen; gleichzeitig entsteht durch die Melange von Elementen, die apriori in keinem Sinnzusammenhang stehen, ein Mikrokosmos, der sich einer "endgültigen", auf einen klaren Nenner reduzierenden Interpretation entzieht.
Seine Bekanntheit und gleichzeitig seine Fremdheit im histori(sti)schen Ensemble ermöglichen dem Tagedieb, sich zu unser aller Komplizen zu machen, schillernd zwischen Irritation, Nähe und Verführung. Cosima von Bonin, die zu Beginn ihrer künstlerischen Arbeit Partizipation vor allem als Werkzeug einer Gruppe Gleichgesinnter begriffen hat, erweitert mit ihren aktuellen Arbeiten -gerade wenn sie den öffentlichen Raum besetzen -diesen Aktionsradius, indem sie aus Versatzstücken, die wir alle mit individuellem "Sinn" belegen können, komplexe Gebilde schafft.


Matthias Herrmann